Corona ist ein Muster-Unterbrecher

Sabina Haas

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31.12.2020

Der nachfolgende Text ist im Oktober 2020 im Rahmen eines Interviews von Nicole Thurn für NewWorkStories entstanden Frust, Stress, zu wenig Gehalt und eine suboptimale Unternehmenskultur: Trotz Corona-Krise wollen immer mehr Menschen ihre Jobs wechseln. Wie man macht man das am besten in Zeiten wie diesen? Die Corona-Zeit ist wohl für viele Menschen so etwas wie ein Seperator, ein „Muster-Unterbrecher“. Man schaut mal wieder bewusst hin auf die eigene berufliche und persönliche Situation und viele fragen sich: „Was mache ich da eigentlich?“ „Bin ich hier richtig?“ und „wie soll es weitergehen?“ Diese Fragen beziehen sowohl die eigene Frage nach einer bewussten Lebensplanung, nach motivierendem Sinn, das persönliche Interesse für ein Themengebiet wie z.B.: Ethik, Ökologie und Nachhaltigkeit, die spezifische Rolle als auch die Firmenkultur und die Umgebungsfaktoren im Unternehmen mit ein. Ich kann das auch bei meinen KlientInnen nachvollziehen, dass „menschliche – soft – Faktoren“ größere Bedeutung haben als reine Karriereüberlegungen. Es geht oft um Fragen wie: Sinn finden, sich über die eigene Berufung klar zu werden, eigene Stärken besser wahr zu nehmen, neue Ziele zu entwickeln, Entscheidungen treffen zu können. Viele meiner KlientInnen sind sehr talentierte Frauen in Ihren 30ern. Die holen sich Support in Form einer Sparringpartnerschaft mit einer Coachin. Und viele wollen tatsächlich eine weibliche Coach, insbesondere weil es da auch oft ganz stark um die persönliche Lebensplanung und eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht. Viele Frauen wollen beides –sowohl beruflichen Erfolg als auch Familie und Kinder. Und es beweist sich leider immer wieder, dass wir noch immer keine guten Rollenvorbilder und Beispiele haben, wie die Vereinbarkeit gut klappen kann. Die Frauen versuchen dann ihre Lebens-, Berufs- und Familienplanung wie am Reißbrett zu machen. Das ist der Versuch, die Zukunft zu kontrollieren und „richtige“ Entscheidungen zu treffen. Da wird es dann oft unübersichtlich und kompliziert – und dann holt man sich Hilfe beim Coach. Studien zeigen auch, dass durch die Corona-Pandemie vor allem Mütter belastet werden.  Ja, da erleben wir einen klaren Retraditionalisierungsschub. Wir haben ja grundsätzlich die Situation, dass rund 70 Prozent der unbezahlten Familienarbeit von Frauen gemacht wird. Und das verstärkt sich in Zeiten von Home Schooling und Home Office noch mehr. Männer schaffen es tendenziell besser, sich da abzugrenzen und konzentrieren sich auf ihre Arbeit. Frauen fühlen sich eher zuständig für Haushalt und Kinder. Die Erwerbsarbeitszeit von Frauen verlagert sich dann an die Tagesränder wie 6 Uhr morgens oder nach 20 Uhr. Die Möglichkeiten des Home Office wird den Frauen mit dem Vorteil der Flexibilisierung „verkauft“, aber in Wirklichkeit ist es eine Traditionalisierungsfalle. Bei den Frauen, die in Berufen arbeiten, wo die Möglichkeiten von Home Office nicht gegeben sind – wie Einzelhandel, Dienstleistungen, Pflegeberufe – ist die Sache anders gelagert. Da trifft dann diese ganze Planungsunsicherheit stark zu. Wenn man nicht weiß, ob der Kindergarten oder die Schule wegen eines Verdachtsfalls schnell mal geschlossen wird, braucht man ein sehr gutes flexibles Netzwerk. Andererseits erleben einige KlientInnen das Home Office als sehr angenehm. Belastungen oder schlechte Stimmung im Büro fällt dann durch die räumliche Distanz geringer aus und man beginnt zu überlegen, ob man noch im richtigen Job ist. Manche erkennen, dass sie ihren Job nur noch wegen der netten Kollegen machen. Das ist auch eine schlechte Voraussetzung, um sich langfristig weiter zu motivieren. Ich habe aber auch den subjektiven Eindruck, dass die Coronazeit mehr Bewusstsein geschaffen hat. Bewusstsein, dass jeden Tag sich alles ändern kann und dass plötzlich ganz andere, unkontrollierbare Bedingungen herrschen können. Das bringt die Menschen zum Nachdenken über Grundsätzliches. Wie soll man am besten vorgehen, wenn man unzufrieden oder frustriert im Job ist? Sicherheit ist in Zeiten wie diesen ein Kriterium.. Nicht immer ist es möglich oder auch sinnvoll, eine unbefriedigende Situation einfach so zu verlassen. Hier schauen wir im Coaching sehr genau, wie die Person Entlastung bekommen kann. Manchmal kann man die Resilienz erhöhen, indem eigene Ressourcen wieder aktiviert werden können, Einstellungen und hinderliche Glaubenssysteme geändert werden können, Prioritäten sich verändern und Akzeptanz erreicht wird, Optimismus stärken trotz Krise. Manchmal braucht es eine neue Strategie oder neue Skills, wie z.B. Kommunikation oder Konfliktmanagement. Manchmal ist es möglich, die Opferrolle zu verlassen und Verantwortung zu übernehmen. Wenn man Verantwortung übernehmen kann, gibt einem das wieder Freiheit – vielleicht nicht für die Situation, sondern für das, was man trotzdem machen kann. Dass niemand Schuld ist, dass Dinge einfach so passieren. Viktor Frankl hat gesagt: Es gibt einen Raum zwischen Reiz und Reaktion. Du hast die Freiheit, deine Reaktion selbst zu wählen. Wähle die Reaktion, die dich stärkt! Wenn man etwas komplett Neues starten will, Berufswechsel oder Selbstständigkeit, aber noch keine klaren Vorstellungen hat: wie kommt man zu mehr Klarheit? Fehlende Klarheit und damit einhergehend Schwierigkeiten sich zu entscheiden, hat oft etwas mit einem unklaren Zielbild zu tun. Wenn mir die Kriterien meines Ziels nicht klar sind, fehlt mir eine gute Entscheidungsgrundlage. Dieses Zielbild zu entwickeln, bzw. Visionsarbeit zu machen, beginnt oft auf Ebene von Werten und Qualitäten, die einem wichtig sind. Wenn wir auf der Werte-Ebene diese schöne Vision wahrnehmen können: Wie fühle ich mich da, wenn ich an meinem Ziel angekommen bin? Ziele, die sich gut anfühlen, bekommen emotionale Zugkraft und es motiviert, sich darauf zuzubewegen. Dann hat man Kriterien, anhand derer man ein gutes Ziel festmachen kann. Viele Menschen versuchen zuerst, ihr Zielbild sehr konkret zu machen und sehr rational zu sein, dann wird es aber oft sehr kompliziert. Und man kennt das: wenn das Ziel zu „hirnig“ oder sehr vernünftig ist, kann das sehr ab-turnend sein. Man bleibt wo man ist und der Frust und die Unzufriedenheit bleiben bestehen. Wie kann man die ersten Schritte aus der Komfortzone gehen, ohne gleich alles hinschmeißen zu müssen? Die sogenannte Komfortzone ist ja oft sehr ungemütlich. Der Vorteil ist aber, dass man sich in dem ganzen ungemütlichen Setting sehr gut auskennt und dadurch Sicherheit empfindet. Das klingt paradox, aber wir verbleiben ja deshalb oft in ungünstigen Konstellationen, weil es trotz aller Widrigkeiten sicher ist. In jedem Veränderungsprozess ist es wichtig, dass die Zuversicht entsteht, dass man sich in einer ungewissen Zukunft zurecht finden wird, auch wenn man heute noch nicht weiß, wie das gehen wird. In der Lösung – d.h. in dem Neuen, das entstehen soll, müssen die „Vorteile des Problems“ erhalten bleiben, sonst ist es keine Lösung. Menschen sind dann im Flow – und somit „mühelos“ produktiv – , wenn ihre Stärken und Fähigkeiten und die Anforderungen der Tätigkeit zusammenpassen. Idealerweise interessieren sie sich auch für die Tätigkeit. Was können Unternehmen tun, um diese Flowmomente zu erzeugen? Für Unternehmen und die Menschen, die dort arbeiten, ist es jedenfalls erstrebenswert, wenn die Mitarbeitenden entsprechend ihrer Stärken eingesetzt werden. Die Stärken entstehen an den Schnittstellen zwischen Fähigkeiten und Interessen, dort ist das Erleben von intrinsischer Motivation und Flow möglich. So gesehen entstehen Flow-Momente in einer Person drinnen und werden nicht von Unternehmen erzeugt. Aber man kann eine Atmosphäre schaffe, wo Flow leichter möglich ist. Dazu gehört kreativer Freiraum, Zeit für Spielen und wertschätzendes Miteinander im Team. Ich finde die Metapher von einem Orchester sehr passend: jeder spielt sein Instrument perfekt und alle miteinander spielen in perfekter Resonanz. Wie sollten wir generell Karriere und Erfolg in der so komplexen und schnelllebigen (Arbeits-)Welt gestalten? Welche Rolle spielt die Sinnsuche dabei? Das ist eine wirklich schwere Frage, weil es sehr individuell ist, wie man Karriere und Erfolg für sich selbst gestalten möchte. Ich bin eine große Anhängerin von ganzheitlichen Konzepten: beruflicher, persönlicher, privater Erfolg, Gesundheit und Freiraum. Das gehört alles dazu. Ich ermutige meine KlientInnen immer, ihr ganz individuelles Erfolgsmodell von einem gelingenden Leben zu entwickeln. Dazu gehört auf jeden Fall die Sinnsuche, bzw. das Finden von Sinn, das bewusste Wahrnehmen der eigenen Bedürfnisse und den Gestaltungsspielraum, das umzusetzen. Ist Sinn aus deiner eher was für Idealisten oder eine weiche Währung, die in Performance und Produktivität einzahlt? Besteht da nicht auch die Gefahr der Selbstoptimierungsfalle? Sinn zahlt jedenfalls ein auf die Performance. Wenn jemand eine für ihn/sie sinnvolle Tätigkeit macht, ist er/sie normalerweise leistungsfähiger und besser motiviert. Menschen, die ihr Leben sinnvoll gestalten können, sind normalerweise individuell erfolgreicher, gesünder und fühlen Erfüllung in ihrem Leben. Das hat etwas natürliches, authentisches, die eigene Bestimmung zu leben. Ich sehe das Konzept der Selbstoptimierung etwas kritisch. Gerade wir Frauen sind da sehr anfällig, nicht gut genug zu sein und deshalb muss man sich immer weiter selbst optimieren. Das macht ja auch vor der spirituellen Sinnsuche nicht Halt. Und das ist wohl auch einer der Gründe, warum 83 % der Coaching-KlientInnen Frauen sind. Es ist eine interessante Gratwanderung: die Frauen kommen ins Coaching weil sie Optimierungsbedarf bei sich selbst orten. Das hat meistens etwas mit dem Urteil von anderen –von außen – zu tun. Als Coachin ist es mein Ziel, die Frauen zu befähigen, das Urteil in sich selbst zu finden, ihre eigenen Bedürfnisse wahrnehmen zu lernen und dafür Wege zu finden. Muss es immer der Jobwechsel, die Suche nach der Berufung, die Weltreise sein? Wie können wir mehr Sinn in unserem Tun auch im Kleinen finden? Es macht sich bezahlt, Ziele – auch gerne große Ziele – zu haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass man etwas im Leben erreicht, sei es ein beruflicher Erfolg, oder auch eine Weltreise, steigt, wenn man sich dieses Ziel setzt. Durch die Zielsetzung werden Schritte in Richtung Zielerreichung gemacht – bewusst und unbewusst. In diesem Sinne empfehle ich: „Think big!“ Jedoch bin ich ebenfalls eine große Befürworterin der kleinen Freuden des Alltags: Achtsamkeitspraktiken, Dankbarkeit, Bewusstsein für alles was da ist. Ich denke, gerade die Corona-Zeit führt uns vor Augen, dass nicht alles immer zur Verfügung steht, dass nicht alles geht und immer selbstverständlich da ist. Mehr Demut vor den Dingen, vor den Ressourcen die uns zur Verfügung stehen und mehr Dankbarkeit für die persönlichen Beziehungen und Berührungen in unserem Leben!   Das ganze Interview hier zum Nachlesen: https://www.newworkstories.com/2020/10/16/jobwechsel-corona-ist-ein-muster-unterbrecher/ Foto: Miriam Mehlmann @miriamblitzt