Back to normal 2.0
Schon Ende März 2020 – also kaum 3 Wochen nach dem Lockdown hat Nicole zu diesem Thema eine Blogparade ins Leben gerufen. Nun ist es Ende August und mein Beitrag kommt relativ spät.
Relativ spät in Bezug auf was?
Heute würde man den Titel wahrscheinlich anders wählen. Wir haben mittlerweile gelernt, dass es wahrscheinlich nie wieder eine Zeit nach Corona geben wird. Corona wird immer sein.
Vielleicht meinte Nicole damals: „die Zeit nach dem Lockdown“, oder „die Zeit nachdem Corona als tödliche Bedrohung erlebt wurde“ – also dann, wann bereits eine Corona-Impfung oder ein Medikament verfügbar ist. Oder ab dem Zeitpunkt, als wir Corona als einen “normalen Grippe-Virus“ wahrgenommen haben werden.
Ich betrachte diese Frage nun aus dem gegenwärtigen Zeitpunkt: der Lockdown ist aufgehoben, dort und da gibt es Verhaltensregeln wie Abstandhalten und Maskenpflicht. Händewaschen ist in, Händeschütteln ist out.
Was ist wirklich wichtig? Ich strukturiere meine Überlegungen mal nach folgenden Bereichen.
1. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Folgen
Manche Branchen und Menschen sind hart getroffen, Städtetourismus, Fluglinien, Kultureinrichtungen, Künstler, Eventveranstalter, Theater, Kinos, Klubs, die Eigentümer und Betreiber, deren Mitarbeiter und die unzähligen Menschen und Familien, die da dran hängen bis zur Garderobenfrau und dem Kulissenschieber. Und alle, die ich jetzt vergessen habe aufzuzählen.
Ich selbst und die KollegInnen meiner Zunft – persönliche Dienstleister aller Art – haben monatelange Verdienstausgänge zu verkraften. Manche haben schon aufgegeben, andere werden es wirtschaftlich nicht sehr lange überleben. Die meisten von uns haben wenige Reserven.
Wir haben eine Welle von wunderbarer Solidarität untereinander erlebt, von revolutionären digitalen Kompetenzentwicklungen und total kreativen neuen Ansätzen und Projekten. Super Stimmung und eine ganz neue Art des Miteinanders konnten wir erleben. Das wäre wirklich, wirklich gut, wenn wir uns das – Solidarität und Miteinander – langfristig als besondere Qualität erhalten könnten.
Aber wir haben auch erlebt, dass die Politik uns mit dem Problem – Umsatz- und Ertragsentgang durch einen verordneten Lockdown – nahezu allein lässt. Wir werden mit Almosen abgespeist: was glaubt man, wie lange ich von EUR 1.000,– Härtefallfonds leben kann? In welchem Verhältnis das zu meinem Monatsumsatz steht?
Es gibt dort und da Maßnahmen wie die Reduktion der Umsatzsteuer oder die Kurzarbeit, die von den großen wirtschaftlichen Keyplayer und multinationalen Konzernen teilweise ausgenutzt werden. Dadurch entstehen der Allgemeinheit Unsummen an Kosten, die Erträge landen in irgendwelchen Steueroasen, die Aktionäre müssen nichts von dem zurückzahlen, was sie jahrelang an Dividenenertrag erhalten haben. Die Börsen boomen – verrückt!
Manager von börsennotierten Unternehmen zahlen sich rasch noch fette Boni aus – natürlich für die tolle Arbeit des Vorjahres, alles Vertragskonform – aber unfair und unmoralisch. Aber das sind keine Kategorien in vielen Managementetagen.
Aber nicht für alle Manager gilt das: die kleinen und mittelständischen Unternehmerfamilien räumen zuerst ihren Sparstrumpf aus. Wenn das Geschäft so zurück gegangen ist, dass selbst die Kurzarbeit nicht leistbar ist, die Miete nicht bezahlt werden kann, dann kann man sich beim Bürokratiemonster um ein Almosen anstellen. Und das Resultat? Dein Vermieter (eventuell eine große Versicherungsgesellschaft – die sind ja auch wirklich arm….. ) schickt dir grad nochmals eine Mahnung.
Die Zahl der Arbeitslosen ist hoch wie schon lange nicht. Besonders betroffen sind unter anderem Jugendliche. Hier entsteht eine größer werdende Gruppe an Wohlstandsverlieren, eine regelrechte No-Future-Generation.
Ein anderer Brennpunkt sind die noch jüngeren. Die Home-Schooling-Situation hat es uns gut vor Augen geführt: Kinder mit schwierigen Familienverhältnissen, Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Familien sind am verletzlichsten. Das System schafft es nicht, diese individuellen Schwachstellen strukturell auszugleichen. Die Schüler, die heute abgehängt werden, sind die Arbeitslosen von morgen.
Was wäre gesellschaftspolitisch wirklich, wirklich wichtig?
Ich erzähle jetzt mal aus meinem Traumbuch: …. Es wäre wirklich ein Traum wenn wir diese Gelegenheit nutzen könnten, das wirtschaftspolitische System grundsätzlich zu ändern, dass strukturelle Ungleichverteilung von Vermögen nicht noch weiter um sich greift, dass dem Ausbluten des Mittelstandes politisch endlich Einhalt geboten wird.
Wie immer wir es nennen wollen: bedingungsloses Grundeinkommen für alle Menschen in Österreich! Für ein solidarisches, lebenswertes Miteinander in einer mitteleuropäischen Wohlstandsgesellschaft.
Und volle Kraft voraus in ein performantes, gerechtes Bildungs- und Ausbildungssystem.
Der überwiegende Teil der unbezahlten Familienarbeit wird von Frauen gemacht: einkaufen, kochen, waschen, putzen, Kinder betreuen und kranke Angehörige pflegen. Das ist ein wesentlicher Grund, warum so viele Frauen Teilzeit arbeiten. Also, sie arbeiten eh mehr als Vollzeit – aber sie werden nur entsprechend ihrer Teilzeit-Anstellung bezahlt. Das wirkt sich auf das geringere Einkommen von Frauen aus, bis hin zur Altersarmut.
Das Homeoffice wird Frauen oftmals als Flexibilisierungsmöglichkeit ihrer Arbeitszeit verkauft, beziehungsweise von diesen auch so wahrgenommen. Das Homeoffice spielt natürlich in Corona-Zeiten eine wichtige Rolle. Und was wir heute wissen ist, dass es zur Re-Traditionalisierung von Rollenbildern beiträgt. Die Männer arbeiten im Homeoffice, während die Frauen tendenziell ihre Erwerbsarbeit am frühen Morgen oder nach 20 h erledigen. Tagsüber werden Kinder betreut, Homeschooling betrieben und für die Familie gekocht.
Was es wirklich, wirklich braucht: Frauen: fordert gerechte Aufteilung der Familienarbeit in eurer Familie ein! Nehmt die Männer ganz selbstbewusst und selbstverständlich für die Familienarbeit in die Pflicht. Die können das genauso! My dream is big enough!
2. Business und Management
Im Bereich der Business- Challenges gehen die größten Risiken von fehlender Ausbildung der Führungskräfte in Remote-Leadership. Durch das Home-office kommt es zu noch schlechteren persönlichen Verbindung zwischen Mitarbeitenden und ihrer Führungskraft. Performance-Risiken die schlecht gemanagt werden, wechselseitige Abhängigkeiten, Missverständnisse und technische Probleme. Für manche Führungskräfte wird der erlebte Kontrollverlust zum Problem.
Wichtig wäre es, dass Führungskräfte mehr Kenntnisse über virtuelle Mitarbeiterführung haben. Kommunikations-Skills stehen wie so oft im Vordergrund. Man kann Team-Routinen einführen, wie zum Beispiel eine virtuelle Kaffeepause, die man regelmäßig miteinander abhält. Man sollte sich ehrlich dafür interessieren, wie es den anderen geht, Zwischendurchanrufe machen, auf die Zwischentöne achten und einfühlsam wahrnehmen.
Weiters halte ich es für wichtig, dass es eine gelungene Balance zwischen Homeoffice und Anwesenheitszeiten im Büro gibt, sodass die unterschiedlichen Anforderungen von Job und Privatleben gut vereinbar sind. Wir brauchen auch ein Bewusstsein von den Arbeitgebern, dass es nicht zu erwarten ist, dass die Mitarbeitenden wie selbstverständlich ihre privaten Ressourcen wie Platz, Internetzugang, Strom und flexible Einteilung der privaten Aktivitäten zur Verfügung stellen.
3. Psychologische, gesellschaftliche und kulturelle Folgen
Ich halte es für wichtig, dass jede/r einzelne und wir als Gesellschaft einen guten Umgang mit dem Virus finden. Gerade im Hinblick auf den bevorstehenden Herbst/Winter halte ich es für schwierig, wenn wir bei jedem Schnupfen in Panik ausbrechen und das gesamte Umfeld und alle Kontakte der letzten Tage in Heimquarantäne gehen.
Hier halte ich es für wichtig, Bewusstsein zu schaffen, Immunsystem zu stärken, Angst zu reduzieren und eine gesunde Motivation für die Einhaltung von Sicherheitsmaßnahmen zu stärken: Händewaschen, Abstand halten, Masken in engen öffentlichen Räumen. Besondere Risikogruppen mögen sich schützen und sind schützenswert, keine Frage.
Aber insgesamt plädiere ich für: don’t panic!
Eine gute Veränderung unseres Life-Styles halte ich auch für wichtig: mehr Achtung der Ressourcen, weniger Flugverkehr, weniger Konsum von unnötigen Sachen. Ich hoffe, dass vieles von dem uns als Gesellschaft erhalten bleiben wird, jedoch wünsche ich auch, dass die wirtschaftlichen Folgen dieser Entwicklungen sich nicht negativ auf die Kaufkraft der Menschen auswirken wird.
4. Persönliche Folgen
Last but not least fällt mir ein, dass ich es für wichtig halte, dass uns bewusst geworden ist, dass nicht alles immer zur Verfügung steht, dass nicht alles geht und immer selbstverständlich da ist. Mehr Demut vor den Dingen, vor den Ressourcen die uns zur Verfügung stehen und mehr Dankbarkeit für die persönlichen Beziehungen und Berührungen in unserem Leben!
das ist ein Beitrag zur Blogparade von Nicole Thurn in ihrem Blog New Work stories