Weibliche Führungsqualitäten auf dem Prüfstand
Ich hatte kürzlich die wunderbare Gelegenheit, drei sehr unterschiedliche erfolgreiche Frauen im Rahmen einer Frauen-Netzwerkveranstaltung sprechen zu hören und fand sehr interessante Gemeinsamkeiten.
Die drei Damen sind unterschiedlichste Typen, Alterskategorien, Lebensumstände und Karriereverläufe in verschiedenen Branchen und Professionen – und doch hat sich recht klar gezeigt, welche Parallelen und gemeinsamen Erfolgsfaktoren ihrer jeweiligen Karrieren auszumachen sind:
- mit dem Herzen zuhören können
- mehr Bewusstsein in die Arbeitsweise bringen
- mehr Menschlichkeit
- mehr Frau-Sein
- die Angst aushalten zu können wenn man etwas Neues ausprobiert
- hinschauen und warten können
- einen Traum zu haben
- den Mut zu haben „Nicht-Norm-Dinge“ zu tun
- zu sich selber stehen und sich nicht so sehr darum kümmern, was die anderen denken.
Das klingt in meinen Ohren wunderbar und sollte viele Frauen ermutigen, dass es auch einige zutiefst weibliche Qualitäten sind, die hier als Erfolgsfaktoren genannt werden. Vielleicht haben wir das Zeitalter endlich überwunden, in dem Frauen immer noch versuchen, die besseren Männer zu sein um mit männlichen Mechanismen im Beruf erfolgreich zu sein.
Wenn die Spielregeln im Sandkasten nicht mehr nur die der Männer sind, wenn weibliche Qualitäten nicht nur am Papier oder pro-forma gewünscht werden – unter dem Motto: Diversity ist bloß eine Marketingmaßnahme im Employer Branding. – dann können sich wirklich neue Rollenbilder von erfolgreichen Frauenkarrieren in einer breiteren Masse etablieren, und nicht nur die Leuchtturm-Frauen mit Vorzeigekarrieren, sondern alle Frauen könnten mit ihrem Selbstverständnis Frau und Führungskraft gleichzeitig sein.
Der Wunsch: mehr weibliche Führungsqualitäten!
In einer Befragung von 500 jungen Frauen aus technischen Studienrichtungen gibt die Mehrheit folgende gewünschte Eigenschaften hinsichtlich der eigenen Führungskraft an: sie soll kommunikativ, kollegial, empathisch und durchsetzungsfähig sein.
Die Studienautorin fasst zusammen: „Das sind Eigenschaften, die eher Frauen zugeschrieben werden – was darauf schließen lässt, dass sich die Teilnehmerinnen eher einen weiblichen Führungsstil wünschen. Männlich konnotierte Eigenschaften wie Risikobereitschaft und Machtbewusstsein waren den Befragten weniger wichtig.“
Die Realität: versteckte Skepsis und ein Versuch von weiblicher Solidarität.
In einer anderen Studie findet sich jedoch auch ein interessanter Aspekt bzw. Wermutstropfen: 10 % von befragten Frauen und 36 % von befragten Männern haben Vorbehalte gegenüber weiblichen Führungsqualitäten. Wenn nun dieselbe Befragung total vertraulich und geheim durchgeführt wird, haben sogar 28 % der Frauen und 45 % der Männer Vorbehalte gegenüber weiblichen Führungsqualitäten! Soll heißen: im Geheimen sind selbst Frauen noch ein Stück weit skeptischer gegenüber weiblichen Führungsqualitäten als offen befragt.
„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Frauen mehr Schwierigkeiten als Männer damit haben, Vorbehalte gegenüber weiblichen Führungskräften offen zu äußern. Möglicherweise fühlen Frauen sich dazu verpflichtet, sich mit anderen Frauen zu solidarisieren“ deutet der Studienautor eine mögliche Interpretation dieser Ergebnisse an.
Zwei Schritte vorwärts, einen zurück.
So haben wir mal wieder unsere liebe Not mit den oft so geheiligten Fragebögen und Befragungsergebnissen. Niemals können wir uns sicher sein, dass die Welt so ist, wie es der Fragebogen misst. Im günstigen Fall reduziert die Befragung Komplexität in einem Thema und lässt durch den Blick von außen so manche Überlegungen zu.
In einer Welt, in der man immer noch von der überbetonten Bedeutung von „Zahlen, Daten, Fakten“ ausgeht, ist der Wert solcher Befragungen aber nicht zu unterschätzen. Durch die vermeintliche Messbarkeit werden Realitäten geschaffen und manche gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen werden sichtbar und besprechbar.
In einer Zeit, in der wir auf einen demografischen Wandel hinsteuern, der es Unternehmen immer schwieriger macht, auf ausreichend gut qualifizierte Fachkräfte zu verfügen, schlagen sich all diese Faktoren auf das Recruiting und die Fluktuation im Unternehmen nieder. Und wenn das als Argument dient, dass weibliche Qualitäten in der Führung endlich die notwendige Anerkennung erhalten: dann soll es uns natürlich recht sein!
Aber hier wird für mich weiters auch klar, wie schwer wir uns mit dem Thema immer noch tun: weibliche Qualitäten ja – aber bitte nicht nur und immer! Der beste Umgang mit dieser Ambivalenz ist es, die Eigenschaften „männlich“ und „weiblich“ als zwei Pole auf einem Kontinuum zu verstehen. Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß: jede Person, jede Fähigkeit, jede Qualität, kann als mehr oder weniger weiblich oder männlich eingeordnet werden: ganz auf der individuell passenden Stelle.
Was für den/die einzelne wirklich zählt, ist die Frage: „was bedeutet das für mich?“
Und dieser individuelle Aspekt ist mir sehr wichtig: so sehr wir uns Statistiken und die generalisierbaren Aussagen zunutze machen dürfen, so sehr dürfen wir uns auch auf unsere individuelle Einzigartigkeit besinnen:
„Lass Dich nicht unterkriegen. Sei frech und wild und wunderbar.“
Dieses Zitat von Astrid Lindgren fordert uns mutig auf zu Qualitäten, von denen wir in unserem jeweiligen Leben und Arbeiten oftmals sehr viel mehr brauchen können. Es ist eine wunderbare Vorstellung, solche Eigenschaften zukünftig öfter als geforderte Skills auf Stellenausschreibungen zu finden.
Die Links zur Studie:
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